Berlinale im Sturmwind

Ein roter Bär mit blauer Krawatte steht in einer Strurmflut und bedient einen Filmprojektor

(Symbolbild – erstellt mit Microsoft Bing Image Creator)

Um die Berlinale steht es nicht gut. Zunächst im Juli 2023 wird ein drastischer Sparkurs für die Berlinale 2024 verkündet. Drei Sektionen der Berlinale (Perspektive Deutsches Kino, Berlinale Series und Hommage) werden gestrichen, die Zahl der gezeigten Filme wird von 287 auf 200 reduziert. Der Grund für diesen Sparkurs: die Bundesrepublik Deutschland als Veranstalter der Berlinale gleicht das zu erwartende Defizit nicht durch eine Erhöhung ihres Zuschusses aus, und das Land Berlin gibt weiterhin nichts zur Berlinale dazu. Das Leitungsduo der Berlinale, Carlo Chatrian und Mariëtte Rissenbeek, trägt den Sparkurs mit, redet ihn sogar noch schön mit der Beschreibung als „Chance, mit einem konzentrierteren Programm die Präsentation und Wahrnehmung der eingeladenen Filme zu optimieren“. (Quelle: Pressemitteilung der Berlinale vom 11.07.2023)

Die Herabsetzung des künsterischen Leiters

Dann Ende August 2023 der Paukenschlag. Die Kultur­staats­ministerin Claudia Roth drängt Carlo Chatrian aus der Leitung der Berlinale. Carlo Chatrian, dessen Vertrag mit dieser Berlinale ausläuft, hatte anders als seine Leitungskollegin Mariëtte Rissenbeek zuvor erklärt, dass er gerne weitermachen würde. Schon im März 2023 erklärte der Aufsichtsrat der Berlinale, dem Claudia Roth vorsteht, dass der Vertrag mit Chatrian verlängert werden solle. Nun aber im Spätsommer erklärt Claudia Roth, man wolle künftig wieder ein Intendanzmodell für die Berlinale, das heißt eine Person an der Spitze. In der Presseerklärung aus Roths Ministerium wird auch deutlich, dass Carlo Chatrian nicht der neue Intendant sein wird, wörtlich heißt es: „Herr Chatrian hat sich bereit erklärt, mit der neuen Intendanz in konstruktive Gespräche über eine künftige Rolle im neuen Team der Berlinale einzutreten.“ (Quelle: Pressemitteilung 171 der Bundesregierung vom 31.08.2023)

Eine merkwürdige Erklärung. Der künstlerische Leiter der Berlinale soll künftig nicht mehr in der ersten Reihe stehen, er ist aber bereit, sich in die zweite Reihe der Berlinale unterzuordnen. Wer soll das glauben? Wahrscheinlich niemand. Es scheint nur darum zu gehen, Carlo Chatrian elegant loszuwerden. Und auch schon einen Tag später stellt Chatrian in einer eigenen Erklärung klar, dass er in dem neuen Intendanzmodell nicht weiter für die Berlinale tätig sein wird. (Quelle: Persönliche Erklärung des Künstlerischen Leiters Carlo Chatrian)

„Das schädliche, unprofessionelle und unmoralische Verhalten von Staatsministerin Claudia Roth“

Die unwürdige Verabschiedung des künstlerischen Leiters der Berlinale veranlasste 474 Filmschaffende aus aller Welt einen offenen Brief zu unterzeichnen, in dem die Verlängerung des Vertrags von Chatrian gefordert wird. Unter den Unterzeichner*innen sind sehr viele bekannte Regisseur*innen des internationalen Arthouse-Kinos wie Maren Ade, Emily Atef, Ruth Beckermann, Dustin Guy Defa, Bas Devos, Andreas Dresen, Rolf de Heer, Eliza Hittman, Joanna Hogg, Hong Sangsoo, Matt Johnson, Radu Jude, Nadav Lapid, Nicolas Philibert, Gianfranco Rosi, Angela Schanelec, Paul Schrader, Ulrich Seidl, M. Night Shyamalan, Paolo Taviani, Margarethe von Trotta – und allen voran Martin Scorsese.

„Wir […] protestieren gegen das schädliche, unprofessionelle und unmoralische Verhalten von Staatsministerin Claudia Roth, die den geschätzten Intendanten Carlo Chatrian zum Rücktritt senkt, trotz der Versprechen, seinen Vertrag zu verlängern“, heißt es in dem Schreiben. Weiter geht es mit: „Carlo Chatrian mag kein Showman sein, aber auf seine ruhige Weise haben er und sein Team einen offenen und künstlerisch lohnenden kuratorischen Weg gewählt, der neue Richtungen im Weltkino zeigt, Stereotypen herausfordert und verschiedene Stränge des Filmemachens verbindet. Trotz der schwierigsten Umstände, die alle außerhalb Chatrians Kontrolle liegen – die Pandemie, die finanziellen Restriktionen und ein sich verschlechterndes Festivalzentrum rund um den Potsdamer Platz – waren die vergangenen Ausgaben unter seiner Leitung sehr lebendig, voller positiver Überraschungen und trotz einer kleineren Anzahl von Filmen, die gezeigt wurden, bei den Zuschauerzahlen auf Augenhöhe mit der Zeit vor der Pandemie.“ Und weiter wird gegen Claudia Roth eingewendet: „Es überrascht nicht, dass keine bessere Vision für das Festival präsentiert oder diskutiert wurde, außer dem fragwürdigen und rückständigen Verlangen nach einer starken Hand, die die Berlinale angeblich in Form eines Intendanten brauche.“ (Quelle: Open Letter in support of Carlo Chatrian, Artistic Director of Berlinale)

Eine scharfe Kritik an Claudia Roth, die aber bei der Kulturstaatsministerin keinen Widerhall findet. Stattdessen stellt Claudia Roth im Dezember 2023 die neue Intendantin Tricia Tuttle der Öffentlichkeit vor. Diese scheint eine gute Event-Managerin zu sein, reicht aber bei der Film-Expertise an ihren Vorgänger Chatrian nicht heran. Auf einmal ist auch wieder mehr Geld für die Berlinale da: die Stadt Berlin, die sich mit der Berlinale schmückt, hat bisher nur 20.000 Euro jährlich für die Berlinale bezahlt (irgendwie peinlich für diese selbsternannte Kulturmetropole). Diese Budget soll ab diesem Jahr verhundertfacht werden – also auf 2 Millionen Euro jährlich aufgestockt werden. Die neue Intendantin Tricia Tuttle darf sich darüber freuen, Carlo Chatrian und Mariëtte Rissenbeek haben von der neuen Großzügigkeit Berlins nichts mehr, sie müsssen für die anstehende Berlinale noch kräftig sparen.

Blick aus dem Berlinale Palast auf den Roten Teppich

Carlo Chatrian in seinem Büro am Potsdamer Platz.
(© Erik Weiss / Berlinale 2023)

AfD rein und wieder raus

Und jetzt direkt vor dem Start der Berlinale noch das Hin und Her mit den Einladungen für AfD-Politiker*innen. Fünf Abgeordnete der rechtsextremen Partei haben via Bundestag und Berliner Abgeordnetenhaus, wo sie in den jeweiligen Kulturausschüssen sitzen, Einladungen zur Eröffnungsgala der Berlinale erhalten. Wieder wird ein offener Brief veröffentlicht. In diesem Brief protestieren über 200 Filmschaffende und andere Kulturgestalter*innen gegen die Einladung an die AfDler*innen. Die Berlinale Leitung reagiert auf den Protestbrief und lädt die rechtsextremen Politiker*innen schriftlich wieder aus.

Das Leitungsduo Chatrian und Rissenbeek gerät wegen der Einladung und dann auch wegen der Ausladung ins Kreuzfeuer der Medienkritik. Zu Unrecht, denn sie haben die besagten AfD-Politikerinnen gar nicht eingeladen, sondern lediglich Kartenkontigente an Bundesregierung und Berliner Senat verteilt, von dort wurden sie über die Büros von Claudia Roth (Staatsministerin für Kultur im Bund) und Joe Chiallo (Kultursenator von Berlin) an alle Kulturausschussmitglieder verteilt und gelangten dadurch auch in die Hände der rechtsextremen Kulturpolitiker*innen. In einem ersten Statement dazu hat Claudia Roth diese Praxis auch noch verteidigt, allerdings die Verantwortung dafür der Berlinale-Leitung zugeschoben.

Als dann die Ausladung der AfDler*innen erfolgt, nimmt sich Claudia Roth weiter aus der Verantwortung, sie erklärt: „Es liegt bei der Berlinale-Leitung, abschließend darüber zu entscheiden, wen sie zur Eröffnung einladen und wen nicht, und wir respektieren diese Entscheidung.“ Na denn.

Morgen geht es endlich los mit der Berlinale. Vielleicht wird dann auch mal über Filme gesprochen. Das wäre schön.

Siehe auch:
Der Berlinale-Bär brummt wieder
Die neue Berlinale
Die zehn Gebote der Berlinale
Wann schläft Knut Elstermann?


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