Stagnation beim Snowdance

Rückblick auf das diesjährige Snowdance Independent Film Festival in Essen

Eingangstür zum Astra Theater

Eingangstür zum Astra Theater (Photo: Roger Weil – Lizenz: CC BY-SA 4.0)

Das Snowdance Festival, das heuer zum zweiten Mal in Essen stattfindet, ist wirklich ein sympathisches Filmfestival. Sein Macher und Impressario Tom Bohn ist ein eigenwilliger Charakter, der sich mit seinem Team dafür engagiert, den kleinen unter dem Radar der Filmförderung laufenden Kinowerken mit dem Snowdance eine Plattform zu bieten. Mit den in der Essener City nah beieinander gelegenen Kinos unterschiedlicher Größe (von der riesigen Lichtburg, über das mittlere Astra bis zu den kleinen Sabu und Luna) hat er dafür scheinbar optimale Spielstätten gefunden.

Aber das Snowdance Festival flutscht nicht. Die Besucherzahlen sind erbärmlich. In einer Vorführung des wirklich guten und unterhaltsam erzählten Films „Alias Wolf“ sitzen nur zwei Zuschauer. Die anderen Vorführungen, die ich besuche, haben Besucherzahlen zwischen 15 und 30. Nur mit der Eröffnungsgala, die mit ganz vielen Freikarten zu zwei Dritteln ausgelastet ist, traut man sich überhaupt in die große Lichtburg, und einen Langfilm möchte man dem event-orientierten Publikum an diesem Abend offenbar auch nicht zumuten. Eine Abschlussgala findet in diesem Jahr gar nicht statt, die Filmpreise werden am Schlusstag unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einem leeren Astra-Kino vergeben.

Woran liegt es, dass das Snowdance keinen Zuspruch findet? Ich vermag keine Fehler bei der Festivalleitung zu sehen. Die Macher*innen des Festivals haben ein Programm mit sehens­werten leicht zugänglichen Filmen kuratiert, sie zeigen diese Filme in den schönen Kinos der Innenstadt, sie haben die Filme­macher*innen für Gespräche mit dem Publikum eingeladen, sie haben das örtlichen Monopolmedium WAZ / Radio Essen als Support gewonnen, sie werden vom jugendszenigen Insta-Portal „Essen diese“ unterstützt, sie haben stadtweit plakatiert und sie haben einen ansehnlichen Trailer produziert.

Bei alledem erreicht das Snowdance Festival noch weniger Zuschauer als letztes Jahr. Die Menschen kommen nicht, es ist traurig. Wenn irgendwo die sogenannten „Stars“ auftreten, da rennen sie dann alle hin, die eventhungrigen Kultur­konsu­ment*innen. Aber einfach auch mal unbekannten Künster*innen eine Chance zu geben, das schaffen sie nicht, da bleiben sie doch lieber zu Hause vor ihrem Netflix hocken und lassen sich berieseln. Ob das Snowdance Festival da noch eine lange Zukunft im Ruhrgebiet haben wird, das muss bezweifelt werden.

Ein Blick auf die Filme, die ich in diesem Jahr sehen konnte:

„Made in Dublin“ von Jack Armstrong zeigt einige interessante Typen. den alkohol- und drogenabhängigen Oscar-prämierten Regisseur Brendan Bloom (gespielt von Paudge Behan); dessen wunderschöne Frau Martha Laine (gespielt von Maria Branagan); der verzweifelte aufstrebende Schauspieler Finn O’Connor (gespielt von Stuart Cullen), der in einem schicken Restaurant in Dublin bedient; die einsame Drag Queen Des Temple (gespielt von Jonathan Delaney Tynan), die ihren geliebten Menschen verloren hat und noch traumatisierter ist, nachdem sie Opfer gewalttätiger Einbrecher geworden ist; und Cara (gespielt von Maya O’Shea), eine junge Femme Fatale, die offenbar ihre eigene seltsame Vorstellung von Gerechtigkeit hat. Leider fehlt es „Made in Dublin“ am dramaturgischer Zuspitzung, Der Film plätschert harmlos vor sich hin. Zwar tut er niemandem weh, aber auch keinem gut. Ein Film, den man vergessen darf.

Da ist der us-amerikanische Film „Scarlet Winter“ von Munjal Yagnik schon fesselnder. Der junge Mann Mark (gespielt von Gregory Wait) erwacht nach einer durchzechten Nacht auf dem Fußboden in seiner Wohnung auf, mit einem blutigen Messer in der Hand, und findet im Schlafzimmer seine Geliebte erstochen im Bett. Mark kann sich nicht erinnern, was in der Nacht vorgefallen ist. Er beschließt, die Leiche verschwinden zu lassen und holt sich dafür die Hilfe seines besten Freundes (gespielt von Ryan Hope Travis). Daneben versucht Mark herauszufinden, was in dieser Nacht passiert ist. Ist er im Rauschzustand zum Mörder an seiner Geliebten geworden? Oder war es jemand anderes, den er nun finden muss? „Scarlett Winter“ ist ein veritabler Kriminalfilm in einer atmosphärisch schwermütigen Winterlandschaft, der als Whodunit erzählt wird und dich als Zuschauenden bis zum Schluss in Spannung hält.

Eine Kriminalgeschichte erzählt auch das Werk der Brüder Oscar und Tobias Spierenburg, „Alias Wolf“. Es geht um den erfolgreichen Schriftsteller Wolf Jacobs, dessen neuestes Buch vor der Veröffentlichung steht. Der schon bekanntggebene Titel des Romans deutet an, das darin etwas enthüllt werden soll. Vielleicht wer sich hinter dem Autorenpseudonym Wolf Jacobs verbirgt, das scheint bisher nur der Verleger Lucas Verlinden (gespielt von Jenne Decleir) zu wissen. Oder vieleicht noch der Autorenkollege Robbe Hendrickx (gespielt von Kris Cuppens), der im selben Verlag herausgegeben wird und öffentlich gegen Wolf Jacobs stänkert. Und dann bekommt Lucas Verlinden, ein mit Drohungen garniertes Angebot, den angekündigten Roman nicht erscheinen zulassen. „Alias Wolf“ ist ein ruhig erzählter Spielfilm mit einer durchweg guten schauspielerischen Leistung, bei dem man gerne verweilt, um zu erfahren, wer und welche Geschichte hinter Wolf Jacobs zum Vorschein kommt.

Zwei Schneemänner tanzen miteinander.

(Symbolbild – erstellt mit Microsoft Bing Image Creator)

Und schließlich noch „Bhagwan Bharose“ von Shiladitya Bora, ein Film aus Indien. Er erzählt die Geschichte zweier Jungen (gespielt von Satendra Soni und Sparsh Suman) in den 1990er Jahren in einem indischen Dorf. Sie wachsen auf in einer von Religiösität, Aberglauben und Fremdenfeinlichkeit geprägten Umwelt. Im Großvater des einen Jungen (gespielt von Vinay Pathak) finden sie einen freundlichen Vertrauten. Es gibt die Genre-Zuordnung „Tragikomödie“, diese passt für „Bhagwan Bharese“ wie der Deckel auf den Reistopf – der Film lässt dich lachen und weinen. Es ist der beste Film beim diesjährigen Snowdance Independent Film Festival.

Siehe auch:
Klein, fein und weitaus besser als erwartet
Spannendes Grau
Mehr Indie geht nicht


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