Rückblick auf das erste Snowdance Independent Film Festival in Essen
(Photo: Roger Weil – Lizenz: CC BY-SA 4.0)
Das war also das erste Snowdance Independent Film Festival in Essen. Ich war ziemlich skeptisch vorher. Gibt es nicht schon genug Filmfestivals in Deutschland? Braucht Das Ruhrgebiet, das ja schon die Kurzfilmtage Oberhausen, das Kinofest Lünen und die Duisburger Filmwoche hat, wirklich noch ein weiteres Filmfestival? Welche Filme wollen die hier überhaupt zeigen? Independent-Filme, sagt der Veranstalter – also Filme die keine institutionelle Förderung generieren konnten oder vielleicht auch nicht wollten. Das müssen wohl Filme sein, die die Qualitätskriterien der Filmförderung unterschreiten, dachte ich. So etwas wie Buchveröffentlichungen im Eigenverlag, nur als Filme.
Aber egal erstmal. Ein Filmfestival fußläufig von der eigenen Wohnung gelegen, da geht man dann doch mal hin. Und dann wurde es ganz anders als erwartet.
Die Eröffnung des Festivals in der prächtigen und prall gefüllten Lichtburg in Essen war schon mal gut. Kein Roter Teppich und kein Chichi, stattdessen eine credible Rockband (Washing the Big Lady) und ein launiger Kulturtalk mit den sympathischen Peter Lohmeyer, Hannes Jaenicke und Muchtar Al Ghusain. Die Eitelkeit des Festivalleiters Tom Bohn, der bei der Eröffnung immer von „seinem“ Festival spricht, die sei ihm hier mal nachgesehen. Wer Gutes tut, der darf auch eitel sein.
Der Eröffnungsfilm „Taktik“, der schon im April 2022 in Österreich seine Premiere feierte und mittlerweile sogar schon auf Servus TV lief, ist so mittelgut. Eine verfilmte True Crime Story, in der es um eine Geiselnahme in einer JVA geht, mit dem bei Tatort-Fans bekannten Harald Krassnitzer in einer ungewohnten Rolle als brutaler Gangster. Im Film werden die Demütigungen und die Angst der drei weiblichen Geiseln ausführlich gezeigt – und in weiten Teilen sehr länglich dargestellt. Etwas mehr erzählerische Raffinesse hätte dem Film „Taktik“ gut getan.
Der Film „Subjekt 101“, mit dem durch den ARD-Wellness-Krimi „Nord bei Nordwest“ bekannten Cem Ali Gültekin in der Hauptrolle, erzählt eine dystopische Geschichte über ein Menschenexperiment – einem obdachlosen Flüchtling wird ein Chip ins Gehirn eingepflanzt und hat fortan unter schrecklichen Flashbacks zu leiden. Das Programmheft von Snowdance meint zu dem Film „wohl der handwerklich beste Feature-Film des Festivals“. Dem kann ich nicht zustimmen. „Subjekt 101“ ist wirklich Horrortrash der billigsten Machart – ein Film zum Weglaufen.
Okay, gering budgetiert sind alle Filme des Snowdance Independent Film Festivals. Dass das kein Nachteil sein muss, zeigt der Autorenfilm „Stumm vor Schreck“ von Daniel Popat. Eigentlich ein No-Budget-Film, denn außer den kargen Ersparnissen von Daniel Popat (ein niedriger vierstelliger Betrag hört man) steckt kein weiteres Geld mehr in dem Film. „Stumm vor Schreck“ zeigt das Paar Johanna (gespielt von Annette Frier) und Thomas (gespielt von Peter Trabner) auf einem Wochenendaufenthalt in einem Ferienhaus. Johanna und Thomas haben eine Babypuppe dabei, reden wenig miteinander und man ahnt, die beiden haben in ihrer Paarbeziehung irgendetwas Schwieriges zu verarbeiten. Dann dringt ein junger Mann (gespielt von Daniel Popat) in das Ferienhaus ein und das Wochenende aller drei Protagonist*innen nimmt einen ungeplanten Verlauf. Das geringe Budget von „Stumm vor Schreck“ zwingt die Filmmachenden zur Konzentration auf das gekonnte Schauspiel von Annette Frier, Peter Trabner und Daniel Popat, die Kamera ist immer dicht dran an den dreien und das tut dem Film gut. „Stumm vor Schreck“ besticht durch seine eindringliche Dichte – ein Meisterwerk des Low-Budget-Kinos.
(Photo: Roger Weil – Lizenz: CC BY-SA 4.0)
Den emotionalen Höhepunkt des Snowdance Independent Film Festivals bildete sicher die Vorführung von „Acht Geschwister“ unter der Anwesenheit der acht Geschwister. Der Dokufilm von Christoph Weinert zeigt eine Reise der acht zwischen 1933 und 1943 geborenen Geschwister (zwei Schwestern und sechs Brüder) an den Ort ihrer Kindheit und erzählt eine Geschichte von Krieg, Vertreibung, deutsch-deutsche Trennung und Zusammenhalt. Die acht Menschen werden einem im Film sehr nahegebracht, umso bewegender anschließend der leibhaftige Auftritt der Acht vor dem Publikum im Astra Theater.
„Balconies“ von Anja Gurres ist ein netter Episodenfilm, der sechs Geschichten erzählt, die auf Balkons spielen. Die Geschichten werden nacheinander erzählt und enthalten jede Menge Humor über die Absurditäten des Alltags. Kein Film, den man unbedingt sehen muss. Wenn man ihn aber schaut, dann wird man sich nicht langweilen.
„The Land“ von Ingvar Kenne ist ein leises Psychodrama aus Australien. Den Film gab es bereits auf dem Snowdance Festival 2022 in Landsberg. Das macht aber nichts, Landsberg ist weit weg von Essen und im Ruhrgebiet lief dieser Film bisher noch nicht. „The Land“ erzählt von zwei ehemalige Freunden, die sich seit 20 Jahren nicht mehr gesehen haben. Die beiden Männer begegnen sich nun wieder und werden dadurch mit einem lange zurückliegenden Verbrechen konfrontiert. Was in der filmischen Erzählung fehlt, das ist die Perspektive des Opfers dieses Verbrechens. Der Film fokussiert sich auf die Schuldgefühle der Täter und vergisst dabei komplett das Opfer – und das muss man dem Film „The Land“ wirklich ankreiden.
Das waren die sechs Filme, die ich auf dem Snowdance Independent Film Festival in Essen sehen konnte. Darunter waren drei gute, zwei mittelgute und ein schlechter Film. Also ein durchwachsenes Programm – aber das ist auf jedem Filmfestival der Welt so. Ein Filmfestival nur mit guten Filmen, das gibt es nicht. Das Snowdance Independent Film Festival bietet interessante Einblicke in die unabhängige Low-Budget-Film-Szene und hebt dabei einige Schätze. Mehr kann man von einem kleinen Filmfestival nicht erwarten. Das Snowdance darf im nächsten Jahr gerne wiederkommen.
Siehe auch:
Spannendes Grau
Mehr Indie geht nicht