Die Bangemänner

Von wem dürfen Politiker Geld nehmen und wieviel? Diese Frage ist durch die Ernennung von Peer Steinbrück zum SPD-Kanzlerkandidaten aufgeworfen worden. Das ist uns ein Anlass, mal einen Blick zu werfen auf eine äußerst unappetitliche Erscheinung des politischen Betriebs – den Bangemann.

Martin Bangemann (1979)

Der Prototyp des Bangemanns: Martin Bangemann im Jahr 1979
(Photo: Bundesarchiv, B 145 Bild-F055742-0020 / Wegmann, Ludwig
[Photo gelb coloriert und beschnitten] – Lizenz: CC BY-SA 3.0)


Was ist ein Bangemann?

Ein Bangemann ist ein ehemaliger Regierungsbeamter, der nach seinem Ausscheiden aus dem Amt eine hoch bezahlte Tätigkeit in einer Wirtschaftsbranche aufnimmt, für die er zuvor als Regierungsbeamter zuständig war. Benannt ist der Bangemann nach Martin Bangemann, jenem für die Regulierung des europäischen Telefonmarktes zuständigem EU-Kommissar aus Deutschland, der 1999 direkt aus der EU-Kommission in den Beraterstab der größten spanischen Telefongesellschaft Telefónica wechselte. Dieser Wechsel löste seinerzeit international eine große Empörung aus, Martin Bangemann wurde in der Öffentlichkeit bis heute zu einer Persona ingrata; sogar seine eigene Partei, die FDP, ging auf Abstand zu Martin Bangemann.


Welche Folgen hatte die Empörung über Martin Bangemann?

Die europäische Kommission führte nach dem Fall Martin Bangemann einen Code of Conduct for Commissioners ein, nach dem sich EU-Kommissare in den ersten zwölf Monaten nach dem Ausscheiden einen Wechsel in die Privatwirtschaft von einer dreiköpfigen Ethik-Kommission genehmigen lassen müssen.

Diese Ethik-Kommission untersagte bisher aber nur einmal einen Seitenwechsel eines EU-Kommissars: den des irischen Kommissar Charles McCreevy, der ein Jahr warten musste, bis er in die Finanzbranche gehen konnte, der aber andererseits sofort nach seinem Ausscheiden sich vom irischen Flugreisenanbieter RyanAir anstellen lassen durfte. Im Falle des deutschen EU-Kommissars Günter Verheugen (SPD), der direkt nach Ende seines Kommissar-Amtes im Jahr 2009 Berater-Jobs bei einer Bank und drei Lobby-Organisationen annahm und etwas später zusammen mit seiner Lebensgefährtin sogar selbst eine europäische Lobbyagentur gründete, und dieses alles der Ethik-Kommission nicht meldete, ließ die Ethik-Kommission Gnade vor Recht walten und genehmigte das Verhalten Verheugens nachträglich. Pikant ist, dass der langjährige Vorsitzende der europäischen Ethik-Kommission, der Franzose Michel Petite, nach seinem Ausscheiden als Generaldirektor des Juristischen Dienstes der EU-Kommission selber direkt in die freie Wirtschaft abwanderte. Petite war als juristischer Generaldirektor in Brüssel unter anderem für Kartellrecht zuständig und wechselte zu einer auf Kartellrecht spezialisierten Anwaltskanzlei.

In Deutschland existieren bis heute keine ethischen Standards für Regierungsmitglieder nach deren Ausscheiden aus dem Amt. Dass die Minister in Bund und in den Ländern auf ganz schnellen Wegen von der Politik in die Wirtschaft wechseln, trotz guter Übergangsbezüge und noch besserer Altersversorgung, das ist hierzulande eher die Regel als die Ausnahme. Nach Martin Bangemann hat in der deutschen Öffentlichkeit auch kein Fall mehr für eine vergleichbare Empörung gesorgt – obwohl es gerade in den 2000er Jahren viele noch schwerer wiegende Fälle von Bangemannismus gegeben hat.


Macht sich ein Bangemann strafbar?

§ 331 des deutschen Strafgesetzbuches verbietet es Amtsträgern, für die Ausübung des Amtes Vorteile anzunehmen, sich versprechen zu lassen oder zu fordern. Der Bangemann umgeht dieses Verbot der Vorteilsannahme im Amt dahingehend, dass der die Annahme des Vorteils auf die Zeit nach seinem Amt verlagert. Man kann hier also von einer Vorteilsnahme nach dem Amt sprechen und die ist in Deutschland nicht strafbar.

Ein anderer Aspekt wäre allerdings einer besonderen Betrachtung wert: der Amtsträger darf sich nach  § 331 StGB auch keine Vorteile versprechen lassen oder diese fordern. Demnach dürfte ein Minister während seiner Amtszeit auch nicht mit Unternehmen über Honorar- oder Arbeitsverträge für spätere Zeiten verhandeln. Die Schnelligkeit mit der so mancher Bangemann nach dem Ausscheiden aus dem Regierungsamt seine Nachfolgetätigkeit in der Wirtschaft angetreten hat, lässt allerdings daran zweifeln, ob dieser Teil des § 331 von den Bangemännern immer eingehalten wird.


Welche sind die besonders krassen Bangemänner?

Besonders krasse Fälle von Bangemannismus sind die, bei denen ein Politiker durch sein Regierungshandeln bestimmten Unternehmen genützt hat und nach dem Ausscheiden aus seinem Amt in die Dienste eines dieser Unternehmen tritt. Hier einige Beispiele:

  • Helmut Kohl (CDU, Bundeskanzler 1982-1998) führte zusammen mit seinem Postminister Schwarz-Schilling das Privatfernsehen in Deutschland ein. Nach seiner Abwahl als Bundeskanzler erhielt Kohl vom privaten Fernsehunternehmer Leo Kirch ein Beraterhonorar von 600.000 DM. Auch die beiden Postminister unter Kohl Christian Schwarz-Schilling (CDU) und Wolfgang Bötsch (CSU) wurden nach ihrer Amtszeit von Leo Kirch honoriert. (Quelle: „Wie geschmiert“ in: DER SPIEGEL 17/2003 S.128-130)
  • Gerhard Schröder (SPD, Bundeskanzler 1998-2005) fädelte in den letzten Wochen seiner Kanzlerschaft noch mit dem russischen Staatskonzern Gazprom ein Pipeline-Projekt durch die Ostsee ein. Der Betreiber der Pipeline war die Gazprom-Tochter Nordstream AG. Die Regierung Schröder verschaffte überdies der Nordstream AG eine staatliche Bürgschaft für einen Kredit von 1 Mrd. Euro. Fünf Monate nach seinem Ausscheiden aus dem Bundeskanzleramt wurde Gerhard Schröder Aufsichtsratvorsitzender der Nordstream AG – mit einem Jahresgehalt von 250.000 €. (Quelle: LobbyControl)
  • Wolfgang Clement (SPD, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit 2002-2005) deregulierte als Bundesminister die Zeitarbeitsbranche, was zu einer immensen Umsatzsteigerung dieser Branche führte. Nach seiner Ministerzeit rückte Clement in den Aufsichtsrat des Zeitarbeitsunternehmens DIS und wurde Vorstandsvorsitzender des Adecco Institute, das zu 100 Prozent vom Zeitarbeits-Konzern Adecco finanziert wird. (Quelle: LobbyControl)
  • Walter Riester (SPD, Bundesminister für Arbeit und Soziales 1998-2002) führte als Minister die nach ihm benannte„Riester-Rente“ ein, eine staatlich geförderte private Altersvorsorge auf Kapitalbasis. Nach seinem Ausscheiden aus dem Ministeramt war er als Repräsentant für den Finanzstrukturvertrieb AWD unterwegs und warb für den Abschluss von „Riester-Verträgen“ dieses Unternehmens. 2009 setzte Walter Riester noch einen drauf und wurde Aufsichtsrat der Union Investment, dem größten Anbieter von „Riester-Renten“. (Quelle: LobbyControl)
  • Otto Schily (SPD, Bundesminister für Inneres 1998-2005) führte als Innenminister die biometrischen Ausweise ein. Nach seiner Ministerzeit wurde er Aufsichtsrat und Anteilseigner der SAFE-ID Solutions AG und Aufsichtsrat der Byometric Systems AG. Beide Unternehmen bieten Hardware und Software für die biometri-
    schen Ausweise an. (Quelle: LobbyControl)
  • Roland Koch (CDU, Ministerpräsident von Hessen 1999-2010) setzte als hessischer Ministerpräsident gegen den starken Widerstand der Bevölkerung den Bau der Landebahn Nordwest am Frankfurter Flughafen durch. Generalunternehmer für diesen Bau war der Baukonzern Bilfinger Berger. Nach seinem Rücktritt als Ministerpräsident wurde Roland Koch Vorstandsvorsitzender von Bilfinger Berger. (Quelle: LobbyControl)

Man könnte bei den vorgenannten Fällen analog zum weiter oben Ausgeführten von einer Bestechlichkeit nach dem Amt sprechen. Da die Bangemänner aber oft sehr empfindlich und klagefreudig darauf reagieren, wenn man ihr Tun auch nur in die Nähe der Bestechlichkeit rückt, unterlassen wir an dieser Stelle ausdrücklich eine solche Behauptung und überlassen es den Leserinnnen und Lesern von Der Kinobaum, die Verhaltensweisen dieser besonders krassen Bangemänner politisch und moralisch zu bewerten.

Schmiergeld

Der Treibstoff der Bangemänner (Bildrechte: © Rainer Sturm / pixelio.de)


Was ist jetzt mit Peer Steinbrück?

Peer Steinbrück war von 2005 bis 2009 Bundesfinanzminister in der schwarz-roten Koalition und verantwortete in dieser Zeit u.a. die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3%, die Fortführung der von seinem Vorgänger Hans Eichel (SPD) begonnenen Deregulierung des Finanzmarktes und die Rettung zweier Banken IKB und HypoRealEstate mit 10 Mrd. Euro bzw. 100 Mrd. Euro Steuergeldern. Nach der für die SPD katastrophal ausgegegangenen Bundestagswahl 2009 (23% Wählerstimmen) zog sich Steinbrück aus der ersten Reihe seiner Partei zurück und nahm im Bundestag auf den hinteren Bänken Platz, ohne nicht zuvor noch die Sozialdemokraten, die über den Zustand der SPD besorgt waren und eine Erneuerung der Partei wünschten, als „Heulsusen“ zu beschimpfen.

Peer Steinbrück trat im Herbst 2009 in die Bangemann-Phase seiner beruflichen Laufbahn ein. Das Bundestagsmandat noch beibehalten (man kann nie wissen, wofür das noch gut ist), ansonsten aber sehen, dass man den Bekanntheitsgrad und die persönlichen Netzwerke aus der aktiven Politikerzeit gewinnbringend für den eigenen Geldbeutel nutzt – das war das durch Martin Bangemann inspirierte Konzept auch von Peer Steinbrück. Und das Konzept ging auf: Peer Steinbrück hat von Herbst 2009 bis Sommer 2012 ca. 1,25 Mill. Euro für Vortragstätigkeiten in der freien Wirtschaft erhalten (Quelle: Website von Peer Steinbrück), dazu geschätzte 480.000 € Buchhonorare und 180.000 € Vergütung für seine Tätigkeit als Aufsichtsrat bei ThyssenKrupp (Quelle: SPIEGEL ONLINE). Durch diese „Nebentätigkeiten“ hat Steinbrück ein Vielfaches seines Einkommens als Bundestagsabgeordneter erwirtschaftet und hat wahrscheinlich auch ein Vielfaches seiner Arbeitszeit als Bundestagsabgeordneter dafür verwendet, denn im Bundestag wirkte er weder in einem Ausschuss, noch in einer Arbeitsgruppe seiner Fraktion mit (Quelle: Website der SPD-Bundestagsfraktion) und war auch im Plenum des Parlaments meistens abwesend.

Unter den Unternehmen, für die Steinbrück gut dotierte Vorträge hielt, sind mit der Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young GmbH auch zwei Firmen, die zuvor bereits Auftragnehmer des Finanzministers Steinbrück waren (Quellen: Kölner Stadtanzeiger, Bundesministerium der Finanzen). Peer Steinbrück gab ihnen Steuergeld und bekam von ihnen Vortragshonorar. Dass in den Transaktionen mit den beiden Unternehmen jeweils eine ordentliche Gegenleistung erbracht worden ist – Beratungsleistung der Unternehmen hier, Redeleistung von Peer Steinbrück dort – das soll nicht bestritten werden. Aber trotzdem riechen diese beiden Vorgänge strenger als die Achselhöhlen von Martin Bangemann.


Was ist am Fall Steinbrück so brisant?

Peer Steinbrück ist nur ein Bangemann unter vielen und im Vergleich zu den oben genannten Herren Kohl, Schröder, Clement, Riester, Schily und Koch ein eher kleiner Bangemann – nicht was die Höhe der erhaltenen Zuwendungen anbelangt, aber doch hinsichtlich seiner geringeren korruptiven Verstrickung. Das Besondere am Fall Steinbrück ist aber, dass hier einer aus dem Bangemann-Leben zurückkehrt in die aktive Politik. Und nicht nur das, es drängt ihn sogar in die erste Reihe der Politik: ein Bangemann will Bundeskanzler werden.

Und hier haben die führenden Parteistrategen der SPD wohl einen großen Fehler gemacht. Das Bangemann-Leben ihres Kandidaten war kein Geheimnis, und dass gerade die SPD als Partei der sozialen Gerechtigkeit mit einem Bangemann als Spitzenkandidaten in eine Glaubwürdigkeitskrise hineinschlittert, das hätte die Parteiführung der SPD wissen müssen. Die deutsche Öffentlichkeit hat sich in den letzten drei Monaten anstatt mit den politischen Zielen der SPD viel mehr mit den extraordinären Einkünften ihres Kanzlerkandidaten beschäftigt. Das sind keine guten Bedingungen für einen sozialdemokratischen Wahlsieg. Schade!

Siehe auch:
Moment mal, Gerhard Schröder!


Kommentare

Die Bangemänner — 3 Kommentare

  1. Ein guter und erhellender Beitrag in dunkler Frühwinterzeit, der den an das Schlechte im Menschen glaubenden Misanthrophen in seinem Weltbild bestätigt, jedoch nicht unbedingt jedes SPD-Mitglied in den Parteiaustritt treiben wird, schließlich sind ja auch Ranke-Heinemann und Drewermann weiterhin Mitglieder der katholischen Kirche, weil es unter dem weiten Mantel der Gemeinschaft so-gerade-eben-noch-Gleichgesinnter so kuschelig (neudeutsch:flauschig) warm ist, oder?

    Die Leserschaft darf doch hoffen, daß die Recherche zu diesem Bangemänner-Text analog zum Anspruch des Verfassers „nach dem Amte“ (welchem auch immer) und nicht „im Amte“ stattgefunden hat ?!

    Ein paar Worte noch zu dem nachfolgend in Anführungszeichen zitierten Passus aus dem „Bangemann“-Beitrag:

    „Man könnte bei den vorgenannten Fällen analog zum weiter oben Ausgeführten von einer ‚Bestechlichkeit nach dem Amt‘ sprechen. Da die Bangemänner aber oft sehr empfindlich und klagefreudig darauf reagieren, wenn man ihr Tun auch nur in die Nähe der Bestechlichkeit rückt, unterlassen wir an dieser Stelle ausdrücklich eine solche Behauptung und überlassen es den Leserinnnen und Lesern von Der Kinobaum, die Verhaltensweisen dieser besonders krassen Bangemänner politisch und moralisch zu bewerten.“

    Meine Meinung dazu: Ich scheue mich nicht, Bangemann und Co. der „Bestechlichkeit nach dem Amte“ zu bezichtigen, allerdings nicht durch aktives Tun, sondern durch Unterlassen – des hinreichend sorgfältigen Auftragens von Mückenspray an dem einen oder anderen feucht-heißen Urlaubstag der vergangenen Jahre. Ich bin bereit, diese Aussage sofort zurückzunehmen, sofern mir einer der Herrschaften ein ärztliches Attest über mückenabweisendes „saures Blut“ vorlegt, welches eine Hautimprägnierung überflüssig macht. – Im Übrigen: Die gerade geschilderte „Bestechlichkeit nach dem Amte“ schließt eine solche der vom Blog-Verfasser beschriebenen Art nicht denknotwendig aus: Die korrekte Anzahl der Arten „Bestechlichkeit nach dem Amte“ bei den genannten Personen beträgt somit jeweils 1 plus X.

  2. Gestern wurde gemeldet, dass die Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP in der Amtszeit des Bundesfinanzministers Peer Steinbrück ein Beratungshonorar von 1,8 Mill. Euro erhalten hat (Quelle: SPIEGEL ONLINE). Dass das spätere Rednerhonorar von 15.000 € für Steinbrück ein Dankeschön dieser Kanzlei gewesen ist, das kann hier leider nicht bewiesen werden und muss im Zustand des Vermutens verbleiben.

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