Das „Schönes-Wochenende-Ticket“ der Deutschen Bahn AG ist eine gute Sache. Erlaubt es einem doch die kostengünstige Erkundung fremder Gegenden – wie z.B. Niederbayern. Hier findet in der 60.000-Einwohner-Stadt Landshut an diesem Sonntag das Finale der deutschen Eishockeymeisterschaft statt. Meine Kollegin Gesi Decker und ich fahren hin.
12.15 Uhr. Mit dem Taxi geht es vom Bahnhof direkt zum Eisstadion. Die Taxifahrerin weiß viel zu erzählen – allerdings in einer mir fremden Sprache, bei der es sich wohl um Niederbayrisch, das Idiom der Einheimischen, handelt. Während der Taxifahrt offenbart sich uns Landshut in all seiner Hässlichkeit. Die Stadt scheint von Ceaucescu erbaut zu sein. Breite, leere Straßen, umsäumt von riesigen, sich einander gleichenden, braungrauen Wohnblocks. Bäume und Blumen kennt man hier nicht.
Schnell sind wir am Stadion, das aus Waschbeton besteht und von außen aussieht wie ein in den 70er Jahren erbautes Schwimmbad. Vor dem Stadion wartet bereits Hans auf uns, ein Bekannter von Gesi Decker, den sie einst auf der Tribüne des Kölner Eisstadions kennen gelernt hat. Hans kommt aus Bad Reichenhall in Oberbayern und spricht zum Glück ein gut verständliches Fernseh-Bayrisch. Er hat uns auf dem Schwarzmarkt für 50 DM das Stück (Normalpreis: 35 DM) Eintrittskarten besorgt.
Im Stadion, das rundum zugebaut ist, und daher wohl eher als Halle bezeichnet werden muss, geht es laut und bunt zu. Es sind noch über zwei Stunden bis zum Beginn der Sportveranstaltung und dennoch sind bereits jetzt die Stehplatzränge auf drei Seiten der Halle mit Menschen gefüllt wie die Tokyoter U-Bahn zur Rush-hour. Und diese Menschen veranstalten einen Höllenlärm. Es wird so laut geschrieen, gejohlt, gesungen, gepfiffen und getrommelt, dass mir meine durchaus rockkonzertgestählten Ohren abzufallen drohen. Die Popmusik, die aus Lautsprechern überall in der Halle herauszudringen versucht, kommt gegen den Lärm der Zuschauer nicht an. Fast alle Krachmacher tragen blauweiße oder rotweiße vereinzelt auch schwarzgelbe, mit Werbung, Spielernamen und großflächigen Zahlen bedruckte Trikots, und dazu, obwohl es in der Halle ziemlich heiß ist, bunte Schals. Hier und da werden rotweiße Fahnen heftig geschwenkt. Tristesse herrscht hingegen auf der vierten Seite der Halle, hier blicken uns von einer Tribüne herunter ca. tausend leere, blaue Schalensitze an.
In der Mitte der Halle befindet sich eine 60×30 m große Eisfläche, auf der sich nichts tut. Die ein Meter hohe Begrenzung der Eisfläche, die „Bande“, besteht ausschließlich aus bunten Werbeflächen; dazu hängen große Werbetafeln an der Decke und den Wänden Halle herum; und sogar auf dem Eis prangt viermal riesengroß das Logo einer Brauerei.
Gleich nach unserer Ankunft im Gedränge der Stehplatztribüne verschwindet Hans erst mal für ein paar Minuten, um seinen Kartendealer auszuzahlen, während ich mich durch Menschenströme hindurch zur Stadiontheke durchkämpfe, unter äußerstem Ellenbogeneinsatz drei Bier ergattere und es irgendwie schaffe, die Bierbecher mit geringen Schüttverlusten zu unserem mittlerweile äußerst eng gewordenen Stehplatz zu transportieren. Wie ich die zwei Stunden bis Spielbeginn und das mindestens ebenso lange dauernde Spiel weitgehend bewegungsunfähig, von trunkenen Eishockeyfans zusammengepresst überstehen soll, weiß ich noch nicht.
„Cannibals“ und „Haie“, so nennen sich die beiden Teams, die hier im Landshuter Eisstadion den deutschen Eishockeymeister ermitteln. Die „Cannibals“ kommen aus Landshut selbst, die „Haie“ kommen aus Köln. Beide Teams spielen in der vor einem Jahr eingeführten „Deutschen Eishockeyliga (DEL)“, die die ihr angehörenden Vereine dazu angehalten hat, sich gemäß amerikanischer Vorbilder Namen aus dem Tierreich zuzulegen. So spielen in der DEL neben den „Cannibals“ und den „Haien“ auch noch „Löwen“, „Panther“, „Füchse“, „Adler“, „Huskies“, „Mad Dogs“, „Star Bulls“ und „Eisbären“. Die Landshuter „Cannibals“ (früher: „EV Landshut“) und die Kölner „Haie“ (früher: „Kölner EC“) haben sich über eine seit September andauernde Saison gegen 16 Mitbewerber durchgesetzt und sich nach jeweils 57 Spielen für das DEL-Finale qualifiziert. Das DEL-Finale selbst wird in fünf Spielen zwischen den beiden qualifizierten Teams ausgetragen. Vier Spiele sind bereits absolviert und beide Mannschaften haben jeweils zweimal gewonnen. Heute im fünften und letzten Spiel wird die Entscheidung fallen.
„Das muss man beim Eishockey abkönnen“
13.55 Uhr. Noch fünfzig Minuten bis Spielbeginn. Auf unserer Tribüne herrscht Hochstimmung. Die beiden gegnerischen Fanblocks liefern sich einen spannenden Sängerwettstreit. „Immer wieder – immer wieder – immer wieder E-vau-ell“, singen die Landshuter. „Hai-eeh – Hai-eeh“, tönt es aus dem Kölner Block. Die Sänger halten sich dabei an die Regeln des Fair-Play, sie brüllen sich nicht gegenseitig nieder, sondern singen immer schön abwechselnd und beziehen sich dabei aufeinander. „Kölle – die Meister vom Dom“, singen die Kölner. „Kölle – die Scheiße vom Dom“, erwidern die Landshuter zur gleichen Melodie, während die Kölner Luft holen und sich überlegen, was sie als nächstes singen.
Wir stehen im Grenzbereich der beiden Blocks. Vor uns trällern die Kölner, hinter uns lärmen die Landshuter. Gesi Decker ist bereits voll in einer Gruppe von „Haie“-Fans integriert. Ich entscheide mich ihr zuliebe ebenfalls für das Kölner Lager und singe dessen Lieder mit – obwohl es aus taktischen Gründen sicherlich günstiger wäre, die gegnerischen Kräfte im Blick anstatt im Genick zu haben. Den Oberbayern Hans ficht das alles nicht an – im Trikot des Eishockeyclubs aus Rosenheim hantiert er gelassen mit einer Videokamera.
Vor uns ragt ein Mann mit einer Pauke aus der Menge heraus und gibt mit seinem Instrument dem Kölner Chor den Takt vor, Tausende klatschender Hände schließen sich dem Paukenhauer an. Die Landshuter Musikanten verfügen über mehrere Schlagzeuger und damit über weitaus mehr Groove. Einmal lasse ich mich vom Landshuter Rhythmus einfangen und klatsche mit; ein Ellbogencheck von Gesi Decker bringt mich zur Räson.
Eine junge Sanitäterin überquert die Eisfläche. Ein tausendfaches männliches Hinterherpfeifen von den Zuschauerrängen begleitet sie. „Ganz schön sexistisch!“, schreie ich Gesi Decker ins Ohr. „Das muss man beim Eishockey abkönnen“, antwortet meine außerhalb des Eisstadions feministisch ausgerichtete Kollegin.
Dann kommt noch mehr Bewegung aufs Eis. Plötzlich drehen zwanzig breitschultrige Männer auf Schlittschuhen ihre Runden auf dem Eisfeld – unter dem stürmischen Jubel der Kölner Fans und den schrillen Pfiffen der Landshuter Fans. Die zwanzig Schlittschuhläufer sehen aus wie moderne Gladiatoren – massive Rüstungen bekleiden ihre Körper, Helme bedecken ihre Köpfe, und mitgeführte Holzstöcke scheinen ihnen als Fechtwaffen zu dienen. Wenig später kommen noch mal zwanzig Eisläufer aufs Feld, was jetzt die Landshuter freut und die Kölner ärgert. Aus den Lautsprechern dröhnt eine bekannte Boxerhymne. Es kann losgehen: die „Haie“ und „Kannibalen“ sind auf dem Eis!
Doch nachdem sie einige schön anzusehende Formationen gelaufen haben und danach noch einige Minuten lang kleine schwarze Scheiben, die aus Hartgummi sind und „Puck“ genannt werden, mit ihren Stöcken bearbeitet haben, verlassen die Spieler ebenso plötzlich, wie sie gekommen sind, wieder die Eisfläche; und ich kann mich wieder den Tribünenchören hingeben.
„Niemals Deutscher Meister – niemals Deutscher Meister – Peppi Heiß!“, skandieren die Landshuter. Gesi Decker informiert mich, dass damit der Torhüter der „Haie“ verspottet werden soll. Natürlich antworten wir Kölner: „Wer wird Deutscher Meister? – Wer wird Deutscher Meister? – Peppi Heiß!“
„Das darf man alles nicht so eng sehen“
14.40 Uhr. Mein Oberkörper ist schweißnass. Meine Beine sind taub – meine Ohren ebenso. Meine Kehle ist Sahara, und mein Bewegungsradius kann nur noch in Millimetern gemessen werden. Aber mir geht es bestens: ich singe die Kölner Lieder, ich rufe die Kölner Parolen, ich klatsche die Kölner Rhythmen – ich bin ein Kölner!
Die Sitzplatztribüne auf der anderen Seite des Eises ist jetzt auch gefüllt. Doch welch ein Kontrast zu unserer Seite! Dort gegenüber trägt man keine bunten Trikots, man schwingt keine bunten Fahnen, man grölt, plärrt und johlt auch nicht. Dort gegenüber trägt man graue und schwarze Mäntel und sitzt still auf seinem Hosenboden.
Auf dem Eis geben drei Schiedsrichter, die man an ihren schwarzweiß-gestreiften Trikots und ihren schwarzen Helmen erkennt, eine Demonstration ihres eisläuferischen Könnens und heimsen dafür den Applaus der Fans ein. Dann kehren die „Haie“ und „Kannibalen“ zurück. Der Kampf der Eisgladiatoren beginnt.
Eishockey funktioniert so wie die meisten Mannschaftssportarten. Zwei Teams versuchen, das Spielobjekt, in dem Fall den Puck, möglichst oft in das jeweils gegnerische Tor zu bugsieren und verhindern, dass das gegnerische Team ebensolches beim eigenen Tor anrichtet. Der Puck wird mit den Stöcken, die auf einer Seite eine abgewinkelte Schlagfläche besitzen, geschlagen. Die beiden Tore sind mit 1,83 m Breite und 1,22 m Höhe recht klein. Sie werden jeweils von einem Torhüter bewacht, der die geschossenen Pucks mit dem Einsatz seines ganzen Körpers abzuwehren versucht. Der Torhüter, in der Eishockeysprache auch „Goalie“ genannt, ist dazu mit einer besonders dick gepolsterten Körperrüstung, mit breiten Schienbeinschützern und mit einem Gesichtsgitter am Helm ausgestattet. Neben dem Goalie stehen in jeder Mannschaft fünf Feldspieler auf dem Eis. Die anderen Spieler hocken bei den Sitzplatzzuschauern hinter der Bande. Sie können während des Matches von ihrem Trainer jederzeit gegen Spieler auf dem Eis eingewechselt werden.
Die „Haie“ sind zu Beginn das bessere Team. Mehrmals gelangen sie mit fünf Mann und Puck dicht vor das „Kannibalen“-Tor, schießen auch ein paar Mal darauf – doch leider treffen sie nicht. Als dann die „Kannibalen“ ihre erste Chance haben, kommt es rund um das „Haie“-Tor zu einem Handgemenge zwischen den beiden Teams, bei dem auch die beiden Schiedsrichter in schlichtender Absicht mitmengen. Ansonsten erleben wir in diesem ersten Spielabschnitt noch viele sehenswerte Attacken auf gegnerische Knochen, Sehnen und Weichteile, ausgeübt durch Ellbogen, Fäuste, Stöcke und Schlittschuhkufen. Spieler, die sich mit besonderer Vehemenz solcher Spielweisen bedienen, werden von den Schiedsrichtern für jeweils zwei Minuten auf ein sich neben dem Spielfeld befindendes Sünderbänkchen, die „Strafbank“, geschickt und dürfen danach weitermachen.
Auf unserer Tribüne ist es nicht mehr ganz so laut wie vor dem Spiel – so sehr stehen wir im Banne der Geschehnisse auf dem Eis.
Eine laute Sirene dröhnt und kündigt damit das Ende des ersten Spielabschnitts an. Auf dem Eisfeld boxen zwei Spieler aufeinander ein. Schnell eilen die anderen Spieler einschließlich der über die Bande hüpfenden Ersatzspieler hinzu und beteiligen sich am Faustkampf. Die Eisfläche gleicht nun einem Saloon in einem zweitklassigen Wildwestfilm. Alle schlagen sich, und keiner weiß, warum. Bemerkenswert allerdings, dass die Gladiatoren jetzt nicht ihre für das Polieren gegnerischer Zahnreihen hervorragend geeigneten Stöcke einsetzen, sondern diese beiseite werfen und sich aufs mannhafte Fäusteschwingen beschränken. Sollte es etwa einen Ehrenkodex der Eishockeyspieler geben?
Wir im Kölner Block unterstützen natürlich unser Team mit unseren Mitteln. „Landshuter Dreck – verreck!“, rufen wir. Über die Radikalität dieser Parole dann doch etwas erschrocken mag ich mich nicht an ihrer Ausrufung beteiligen und wende mich Hilfe suchend an Gesi Decker. „Das darf man alles nicht so eng sehen“, gibt diese mir zu verstehen, und ihre Augen leuchten dabei.
Nachdem die Schiedsrichter die prügelnde Meute wieder zur Ruhe gebracht haben und zwei Spieler wegen – wie der Stadionsprecher verkündet – „unnötiger Härte“ auf die Strafbank beordert haben, ist erst einmal Pause.
Ich nutze die Pausenzeit, um mich bei Hans noch etwas regelkundig zu machen. Mich haben im Spiel Situationen irritiert, in denen sich zwei Spieler bewegungslos im Zentrum der Bierreklame auf dem Eis Aug‘ in Aug‘ mit grimmigen Blicken und gezückten Stöcken gegenüberstehen, bis ein Schiedsrichter ihnen den Puck hinwirft. Ich lerne, dass eine solche Szene „Bully“ genannt wird und immer dann in Szene gesetzt wird, wenn das Spiel wegen eines Regelverstoßes zuvor unterbrochen worden ist. Nach der kurzen Regelunterweisung wendet sich Hans wieder seiner Kamera zu.
Zwei klobige Wagen kurven über das Eis und polieren es. Ein Lied über eine Prostituierte namens „Rosi“ quillt aus den Lautsprechern. Auf unserer Tribüne findet ein Geschiebe und Gedränge von Bier holenden Zuschauern statt. „Fische, Fische – ha, ha, ha!“, ruft es hinter mir. Die Rufer sind zwei schnauzbärtige Kappenträger mit Knochen, an denen noch Fleischreste lappen, an ihren Mützen – offenbar „Kannibalen“-Anhänger. Vier junge Kölner in „Haie“-Trikots vor uns, mit denen Gesi Decker Freundschaft geschlossen hat, sind wieder mit Bier versorgt. Der zweite Spielabschnitt beginnt.
Die „Kannibalen“ spielen in diesem zweiten Spielabschnitt besser als im ersten. Ihre beiden kanadischen Stürmer feuern, was das Zeug hält, ihre Pucks auf das „Haie“-Tor. Aber unser Goalie Peppi Heiß ist spitze. Reaktionsschnell pflücken seine sich überall befindenden Hände die heranfliegenden Pucks aus der Luft, und einigen besonders scharf geschossenen Scheiben wirft er mutig und akrobatisch seinen massigen Körper entgegen. Die Gitterstäbe vorm Gesicht und sein Helm, der zu einem geöffneten Haifischmaul stilisiert ist, geben ihm dabei ein besonders martialisches Aussehen. „Wer wird Deutscher Meister? – Wer wird Deutscher Meister? – Peppi Heiß!“, skandieren wir jetzt wieder. Unter unseren Sprechchören vergeht der zweite Akt des Eisdramas – leider ohne Tore und auch ohne „unnötige Härten“, die doch gerade dem ersten Spielabschnitt die nötige Würze gaben.
„Hinterher ist alles vorbei“
Ein Eishockeyspiel besteht aus drei Spielabschnitten. Jeder Abschnitt dauert eigentlich zwanzig Minuten; allerdings gibt es aufgrund vieler zu ahndender Regelverstöße zahlreiche Spielunterbrechungen, bei denen stets die Spielzeituhr angehalten wird, so dass real ein Abschnitt wesentlich länger dauert. (Heute in Landshut währt jedes Spieldrittel etwa fünfzig Minuten.)
Ich zeige mich etwas enttäuscht darüber, dass die Eiskämpfer nach zwei Dritteln des Spiels noch immer keine Tore erzielt haben. Hans verspricht mir, dass noch solche fallen werden. Er hat in seiner langjährigen Fankarriere noch nie ein Eishockeymatch ohne Tore erlebt. Und so blicke ich noch erwartungsvoller dem letzten Akt entgegen.
16.45 Uhr. Noch immer 0:0. „Let’s go, Haie – let’s go, Haie“, fordern zweitausend Kölner Kehlen. „Auf geht’s E-vau-ell!“, schallt es stakkatoartig aus dem Landshuter Block. Und dann passiert es! Ein schwarzgelber „Hai“ taucht plötzlich mit Stock und Puck dicht vor dem „Kannibalen“-Torwart auf und drischt die Scheibe mit voller Power am Goalie vorbei in die Maschen des Tornetzes – 1:0!
Ein Jubelorkan bricht in unseren Block herein. Wir springen in die Luft. Wir recken unsere Fäuste zum Hallendach. Wir umarmen uns. Wir brüllen so laut es geht. Wir sind die Besten! Wir sind Haie!
Auf dem Eis geht es Schlag auf Schlag weiter. Wild und wütend stürmen die „Kannibalen“ alle Mann nach vorn. Sie ballern die Pucks in Richtung Peppi Heiß. Und Peppi wehrt sie alle ab. In unser Tor kommt kein niederbayrischer Puck!
Unser russischer Stürmer Berezin zeigt den Niederbayern, wo’s langgeht. Einen übermütigen „Kannibalen“-Stürmer sticht er mit seinem Stock nieder. „Russensau! Russensau!“, plärren die Kannibalisten von der Tribüne herunter. Das „Landshuter Dreck – verreck!“, was wir ihnen entgegenhalten, kommt mir nun leicht über die Lippen.
Berezin muss leider für zwei Minuten auf die Strafbank. Die „Kannibalen“ sind nun einer mehr auf dem Eis und drängen allesamt gen „Haie“-Tor. Verzweifelt mühen sich die vier verbliebenen „Haie“ ab, an die Scheibe zu gelangen, die die fünf „Kannibalen“ sich schnell und sicher gegenseitig zuspielen. Da streckt sich ein „Hai“ blitzartig nach vorn, kommt mit dem Stock an den Puck und schlägt ihn zu einem Mitspieler. Dieser flitzt davon und ist auf einmal vor dem „Kannibalen“-Tor. Er spielt die Scheibe quer zu einem nachgeeilten „Hai“. Und der haut das Ding ins Tor. 2:0 für uns!
Erneut eine Jubelorgie mit dem Lärmpegel eines Metal-Konzertes. Eine Flagge in den Farben des deutschen Kaiserreiches, die den Vereinsfarben der Kölner „Haie“ entsprechen, deckt sich über unsere Köpfe. Gesi Decker und die vier Kölner Jungs vor uns umarmen sich heftigst und küssen sich gegenseitig. Ich küsse die Kaiserflagge. Wir alle trällern: „So spielt man Eishockey!“ – nach der Melodie eines Schlagers der Pet-Shop-Boys. Die Schalträger schwenken schunkelnd ihre Schals dazu.
Im Landshuter Block hat es sich nun ausgegroovt. Still und andächtig verfolgen die „Kannibalen“-Fans den Untergang ihrer Mannschaft, die sich auf dem Eis lustlos ihrem Schicksal ergibt. Die „Haie“ können jetzt ohne Gegenwehr brillieren und zaubern. Zwei weitere Tore gelingen ihnen auch noch. Beim 3:0 küsse ich Gesi Decker. Beim 4:0 reibe ich meine Wangen an denen eines unrasierten Unbekannten.
Dann ist das Spiel aus. We are the champions!!!
Die von mir für das Spielende erwartete Tribünenkeilerei zwischen dem „Landshuter Dreck“ und der „Scheiße vom Dom“ bleibt aus. Allerorten beobachte ich friedliche und entspannte Gespräche zwischen Kölner und Landshuter Anhängern. Auch die „Kannibalen“ und „Haie“ auf dem Eis schwatzen freundschaftlich miteinander. Bei der anschließenden Ehrung der Mannschaften werden beide Teams von allen Zuschauern mit einem kräftigen Applaus bedacht. Die Gefechte der letzten fünf Stunden scheinen Bestandteile eines Festes unter Freunden gewesen zu sein. „Das ist eben Eishockey“, bemerkt dazu Gesi Decker. „Hinterher ist alles vorbei.“
Auf dem Weg zum Bahnhof hole ich mir an einer Tankstelle ein Getränk. Die Frau an der Kasse möchte wissen, ob ich Kölner sei. „Nein“, gebe ich Auskunft, „ich bin kein Kölner.“